Mit Ludwig van Beethovens Streichquartett op. 130 schafft das Michelangelo Quartett einen Höhepunkt bei den „Edward W. Said Days“ in der Berliner Barenboim-Said Akademie. Bericht vom Konzert am 8. April 2018
Mit „Tränen der Wehmut“ hat Ludwig van Beethoven den langsamen Satz seines Streichquartetts op. 130 komponiert. Auch im Berliner Pierre Boulez Saal ist das Publikum am Ende dieser „Cavatina“ sehr still, wenn das vorzügliche Michelangelo Quartett den letzten Akkord noch einige Sekunden unhörbar im Raum stehen lässt.
Michelangelo Quartett – auf der Stuhlkante
Danach rücken nicht nur die Musiker auf der Stuhlkante nach vorn: die „Große Fuge“ beginnt, der originale Schlusssatz, den Beethoven in seiner Zeit tatsächlich durch ein neues Finale ersetzen musste. Zu revolutionär war der Komponist hier mit Tonalität und Hörgewohnheiten umgegangen. Zeitgenössische Kritiker hatten im polyphonen Spätwerk nur „babylonische Verwirrung“ ermittelt und die Musiker waren bei der Uraufführung schmerzhaft an spieltechnische Grenzen gestoßen.

Rätsel Beethoven
Kontrapunktische Konflikte freitonal gestaltet – für die Geigerin Mihaela Martin, die auch als Professorin an der Akademie lehrt, ist es ein Rätsel, „wie jemand mit den gesundheitlichen Problemen, mit denen Beethoven zu kämpfen hatte, eine solche musikalische Vision entwickeln konnte.“

Später Beethoven
Das „Spätwerk Beethovens“ hat schon Theodor W. Adorno erforscht. Dieser Schrift von 1937 ist Edward W. Said in seiner Aufsatzsammlung „Über den Spätstil“ gefolgt. Der Spätstilgedanke des 2003 gestorbenen amerikanisch-palästinensischen Gelehrten bildet den programmatischen Rahmen für die dreitägige Veranstaltungsreihe.
Late Palestine
Diesem Konzept folgend ist auch am letzten Abend wieder ein Vortrag zu hören: der palästinensische Autor Raja Shehadeh erinnert sich in „Late Palestine“ an sein fast 70 Jahre dauerndes Leben in Ramallah. Ein Leben, dessen Konflikte und Widersprüche in der Deutung von Edward W. Said durchaus mit den Stimmen und Gegenstimmen einer kontrapunktischen Fuge verglichen werden können.
Transzendenz
Eine der farbigsten Fugen überhaupt hatten Studierende der Akademie gleich zu Beginn gespielt: das „Ricercar a 6“ aus dem „Musikalischen Opfer“ von Johann Sebastian Bach. Bearbeitet für Kammerorchester von Anton Webern erfährt dieses barocke Spätwerk eine verblüffende klangliche Wandlung: Webern hat die sechs Stimmen überall im Orchester verteilt, lässt die Posaune beginnen, sie übergibt nach wenigen Tönen an die Trompete, die das Fugenthema dann dem Horn überlässt – Bach im Klang der Moderne, an einem großen Abend der Transzendenz.
