„Kraft, Tiefe, Charisma“ – mit diesen drei Eigenschaften beschreibt Franziska Pietsch ihren Geigenton, mit dem sie die Neueinspielung der beiden Violinkonzerte von Sergei Prokofiev zum Hörerlebnis macht.

Ein Gespräch mit der in Köln lebenden Geigerin, die 1969 in Halle/Saale geboren wurde. Bis zur sogenannten „Republikflucht“ ihres Vaters im Jahr 1984 war Pietsch in der DDR ein gefeierter Kinderstar. Mit ihrer Geige ist sie unter anderem in der Komischen Oper Berlin aufgetreten. Nach der Ausreise in den Westen musste sich die junge Frau ab 1986 „neu erfinden“. Heute zählt Pietsch zu den besten deutschen Geigerinnen, was die neue Aufnahme der Prokofiev-Violinkonzerte eindrucksvoll beweist.
OHRENMENSCH hat Franziska Pietsch am Rande der Aufnahmen zu dieser CD im März 2017 an einem besonderen Ort getroffen: in der Berliner Jesus-Christus-Kirche, in der schon viele grosse Solisten und Ensembles ihre Musik aufgenommen haben.
INTERVIEW mit Franziska Pietsch
Worin unterscheidet sich für Sie eine CD-Aufnahme von einem Konzert ?

Franziska Pietsch: Bei einem Konzert geht man auf die Bühne und es zählt das, was man an diesem Abend abliefert. Bei der Aufnahme versuche ich es genauso zu machen. Aber genau deswegen ist eine Aufnahme auch so anstrengend, weil man natürlich nicht einmal, sondern vielleicht zehnmal mit der gleichen Intensität spielen muss. Diese Spannung über einen Zeitraum von mehreren Tagen zu halten, so wie jetzt hier in Berlin, das erfordert sehr viel innere Kraft und Energie.
Warum müssen bei so einer Aufnahme manche Stellen wiederholt werden ?
Pietsch: Bei einem perfekten Zusammenspiel soll das Orchester mit der Solistin zusammen wie eine einzige Stimme klingen. Manchmal stimmt da vielleicht eine Kleinigkeit nicht – was im Konzert gar nicht so auffallen würde – aber bei einer Aufnahme hört man das, und das soll nicht sein ! Deshalb spielt man das dann eben zwei oder drei Mal. Es handelt sich vielleicht nur um Nuancen, die ein guter Tonmeister aber nicht durchgehen lässt.
Warum passt Ihr Geigenton so gut zur Musik von Prokofiev ?
Pietsch: Ich spiele eine Geige von Carlo Antonio Testore, ein italienisches Instrument mit einer sehr markanten Klangfarbe, nicht sehr sanft, nicht sehr lieblich. Ich habe lange Zeit eine Stradivari gespielt, die war sehr viel lieblicher als die Geige, die ich jetzt spiele und die einen ganz anderen Grundcharakter hat. Die Stradivari hatte einen wunderschönen Ton, hatte aber nicht diese Kraft, diese Tiefe, dieses Charisma, das man bei Prokofiev braucht.

Sie gehen mit ihrem Instrument bei den Prokofiev-Konzerten nicht gerade zimperlich um, denn Sie müssen sich mit einer gewissen Lautstärke gegen das Orchester durchsetzen. Wie war das bei den Sonaten von Prokofiev, die Sie davor aufgenommen haben ?
Pietsch: Auch bei den Prokofiev-Sonaten, die ich vor einem Jahr aufgenommen habe, gibt es Stellen, wo es sehr „zur Sache geht“, wo man als Geigerin nicht gerade zimperlich sein darf ! So ein riesengrosser Steinway D-Flügel, da kommen manche Geiger kaum dagegen an, je nachdem, wie laut der Pianist spielt. Also, man braucht auch bei den Sonaten eine gewisse Kraft und einen grossen Ton, aber es ist natürlich schon etwas anderes, als wenn man mit einem grossen Orchester spielt.
Was spielen Sie eigentlich lieber, Violinkonzerte oder Kammermusik ?
Franziska Pietsch: Ich bin in der DDR aufgewachsen, stehe seit meinem elften Lebensjahr als Solistin auf der Bühne, komme also vom solistischen Spiel, das zeichnet meinen Lebensweg aus. Aber es ist wichtig, nicht nur eine einzige Sache zu machen, sondern herauszufinden, was heisst das eigentlich, Musik zu machen. Deshalb bin ich dann wohl auch IN das Orchester gegangen, habe als Konzertmeisterin mit grossen Dirigenten gearbeitet und war als Einzelne auch nicht mehr so wichtig. Dadurch habe ich eine ganz andere Perspektive kennengelernt. Und dann kam ja die Phase mit ganz viel Kammermusik. Jetzt zurückzukommen zum solistischen Spiel, das ist für mich sehr spannend und jetzt ergibt das auch wieder einen Sinn.
Von welchen Erfahrungen im musikalischen Ausbildungssystem der DDR können Sie bis heute profitieren ?
Pietsch: Es ist eine unglaubliche Professionalität, die man in diesem System schon als Kind gelernt hat. Damit steht und fällt eigentlich alles, das ist wie im Hochleistungssport. Ohne Disziplin geht es gar nicht, es gibt nur das eine Ziel und dafür muss man leben und sein ganzes Leben danach ausrichten.

Wie schaffen Sie es, die Musik von Prokofiev so eindringlich zu spielen ?
Franziska Pietsch: Für mich ist es eine Leidenschaft, Musik zu machen und wenn man als Solistin spielt, ist das wie bei einem guten Schauspieler – man verschmilzt nicht nur mit der Rolle, man IST diese Rolle. Wenn man diesen Prokofiev aufnimmt, dann weiss man manchmal nicht, wer man eigentlich ist – man ist Prokofiev, irgendwie ! Und das hört man dann eben auch am Ende, das da ein Mensch in dieser Sache lebt, mit dieser totalen Passion. Die ist da oder sie ist nicht da, diese Passion kann man nicht lernen !

Im Vergleich zu Geigern, die aus Hamburg oder München, aus London oder New York stammen – spielen Sie Prokofiev oder Schostakowitsch anders, weil Sie im Osten aufgewachsen sind ?
Franziska Pietsch: Ich denke, dass das einfach etwas mit einem macht – nicht, dass ich das besser spiele – sondern einfach, dass ich mich dieser Musik innerlich sehr nah fühle. Ich kenne und fühle dieses Leid, das Menschen unter solchen Umständen durchmachen. Ich weiss, warum diese Musik so ist, warum sie so klingt, wie sie klingt – da muss ich nicht gross nachdenken, sondern ich fühle das und bin mit dieser Musik einfach stark verbunden.
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