Unverwüstlich – Drei neue CDs zeigen, wie unterschiedlich die Musik von Johann Sebastian Bach rund 300 Jahre nach ihrer Entstehung interpretiert werden kann. Doch was auch immer die Musiker mit den Noten anstellen – Bach bleibt Bach.
Die Pianistin Tamar Halperin, der Geiger Etienne Abelin und der Sounddesigner Tomek Kolczynski liefern auf ihrem Album sicherlich die modernste Interpretation der barocken Noten.
Bach bleibt (fast) Bach
Themen und Motive aus verschiedenen Präludien und Sonaten für Violine und Cembalo von Johann Sebastian Bach wurden für dieses Album zunächst in herkömmlicher Weise aufgenommen und anschliessend mit Computersoftware zu neuen Klängen und Klangflächen verarbeitet. Aus der Verschmelzung der originalen Musik mit den verfremdeten Klängen entstehen sogenannte „constellations“, drei- oder vierteilige Arrangements, in denen anfangs noch das originale Material erkennbar ist. Am Ende aber hat eine vollständige Verwandlung stattgefunden, man erlebt wohltuende musikalische Meditationen, gleichzeitig sorgen die originalen polyphonen Strukturen für ein intellektuelles Hörvergnügen.
II. Bach perkussiv: „The Wave Quartet“ (Sony Classical)
Foto: Sony Classical
Zusammen mit dem L’Orfeo Barockorchester hat das österreichische Marimba-Quartett vier Cembalokonzerte von Johann Sebastian Bach aufgenommen – Continuo trifft moderne Perkussion. Einer der vier Solisten ist Christoph Sietzen, der immer noch überrascht ist, wie gut dieser „kammermusikalische Austausch“ funktioniert:
„Es prallen da im Prinzip ja zwei komplett unterschiedliche Welten aufeinander: ein Barockorchester, dass auch auf Barockinstrumenten spielt und aus dieser Welt kommt, und dann wir Marimbaphon-Spieler. Wir haben uns zwar sehr stark mit der Barockmusik auseinandergesetzt – und spielen auch alle vier Cembalo – aber trotzdem kommen wir natürlich aus einer komplett anderen Welt. Das Marimba ist ein modernes Instrument.“
Foto: Christian Herzenberger
Zusammen mit seinem früheren Lehrer Bogdan Bacanu spielt Christoph Sietzen gleich zum Auftakt der CD das Cembalokonzert in d-moll, BWV 1052. Jeder Spieler ist dabei für jeweils eine originale „Cembalistenhand“ zuständig, spielt die Stimme, die bei Bach mit links oder rechts auf der Tastatur angeschlagen wurde. Für das Doppelkonzert in c-moll BWV 1061 – mit einem wunderbaren, meditativen „Andante e piano“ in der Mitte – braucht man deshalb schon vier Marimbas, beim letzten Konzert des Albums – BWV 1065, von Bach im Original für vier Cembalos nach einer Vorlage von Antonio Vivaldi komponiert – sind sogar acht Spieler beteiligt. Wenn diese Spieler dann mit ihren großen Instrumenten auf der Bühne stehen – jedes Marimba rund 3 Meter breit – hört man nicht nur opulente Klänge, sondern kann zusätzlich auch noch beeindruckende Bilder sehen.
„Wenn Sie uns live im Konzert oder auf einem Video sehen, werden Sie relativ schnell bemerken, dass unsere Armbewegungen durch das gemeinsame Atmen und die gemeinsame Phrasierung oft wirklich wie eine Welle aussehen.“
Zwei Sänger und drei Instrumentalisten, alle fünf in ihrem jeweiligen Fach höchst anerkannt, präsentieren auf diesem Album Musik aus Bachs häuslichem Umfeld. Die CD beginnt äusserst athmosphärisch: Andreas Staier spielt auf dem Cembalo das Präludium D-Dur (BWV 936), man hört und denkt, ja, so in etwa könnte es geklungen haben, wenn sich der Thomaskantor morgens am Tasteninstrument warmgespielt hat – um dann anschliessend an einer Kantate für den Gottesdienst zu arbeiten. Wie etwa „Der Friede sei mit Dir“, BWV 158, aus dem Georg Nigl mit klarem Bariton das erste Rezitativ singtDer gebürtige Österreicher war als Kind Sopransolist bei den Wiener Sängerknaben und hat dort „ sehr viel Bach“ gesungen. Auf der CD ist er gemeinsam mit der Sopranistin Anna Lucia Richter zu hören, als „dritte Stimme“ kommt die Geigerin Petra Müllejans hinzu, die den Gesang der beiden mit barocken Linien umspielt. Wenn sich dann am Cello noch Roel Dieltins einfindet und mit Andreas Staier das Continuo bildet, ist das hochkarätige barocke Hausmusikensemble komplett. Mit dem Choral „ Hier ist das rechte Osterlamm“ findet der erste Abschnitt der CD ein erstes kleines Finale.
Authentischer Bach
Schon nach kurzer Zeit ist man als Zuhörer gefangen von der authentischen Stimmung dieser faszinierenden Hausmusikstunde, die Andreas Staier mit Arien und Chorälen aus verschiedenen Kantaten, aus Instrumentalsätzen von Johann Sebastian Bach, aber auch mit Ausschnitten aus Georg Christian Schmemellis „Gesangbuch“ zusammengestellt hat.
Den musikalischen Familienzusammenkünften im Hause Bach nachzuspüren, dieses Vorhaben ist Andreas Staier mit seinen Mitmusikern auf „Bach Privat“ vorzüglich gelungen. Im Vergleich mit den beiden anderen CDs wird hier allerdings auf moderne Experimente verzichtet.
Unverwüstlich
Für die „BachSpace“-Pianistin Tamar Halperin ist Johann Sebastian Bach der Schöpfer der „bedeutendsten Musik, die je geschrieben wurde. Musik, ohne die die Welt nicht komplett wäre.“ Diese von Respekt und Liebe zu Bach geprägte Einsicht bedeutet für die jungen Musiker aber ganz offensichtlich nicht, in Ehrfurcht zu erstarren und die Originale wie Heiligtümer unberührt zu lassen. Im Gegenteil, Bach wird hier mit traditionellen Instrumenten und moderner „Musiktechnologie“ ganz neu interpretiert.
Bach ausreizen
Christoph Sietzen und sein „Wave Quartett“ setzen bei der „Marimba-Modernisierung“ der Cembalokonzerte ganz bewusst die dynamische Möglichkeiten ihrer Instrumente ein. Alles in allem fühlt sich das Ensemble aber der historischen informierten Aufführungspraxis verpflichtet:
„Bei allen Regeln, die wir versuchen einzuhalten und bei aller Vorsicht und dem Respekt gegenüber der barocken Aufführungspraxis gibts natürlich ein paar Facetten, die die Instrumente unterscheiden. Etine ganz entscheidende ist natürlich die Dynamik ! Das ist bei den Marimbas ganz extrem, weil wir wirklich eine unglaublich grosse dynmamische Bandbreite haben und die auch ausreizen bei Bach“
Bach bleibt Bach
Ob dynamisiert, elektronifiziert oder naturbelassen – dem Thomaskantor würde ganz sicher gefallen, wie auf diesen drei CDs aus seinen musikalischen Ideen neue Musik entsteht.